Wernicke Encephalopathie

bildschirmfoto-2016-09-12-um-09-45-01In der Septemberausgabe des Sächsischen Ärzteblattes findet sich ein Artikel zur Wernicke Enzephalopathie:

Glöckler TM, et al. Die Wernecke Encephalopathie. Ein vermeidbares interdisziplinäres Krankheitsbild. Ärzteblatt Sachsen 09/2016; 382-385

Grundsätzlich wird eine großzügige klinische Diagnosenstellung zu einer Wernicke Enzephalopathie (WE) empfohlen. Auch bei unvollständigem Syndrom soll Thiamin substituiert werden (3 x 200 mg an drei aufeinanderfolgenden Tagen i.v., s.u,).

Risikokonstellationen für eine WE sind:

  • Alkoholabhängigkeit,
  • Glucose-Infusionen,
  • hohes Alter,
  • Stammzelltransplantation,
  • parenterale Ernährung,
  • Diät- und Fastenprogramme (z.B. auch Hyperemesis gravididarum, Fasten bei großen Operationen, Essestörungen)
  • Hungerstreik

Anbei ein paar Fakten:

  • Die Wernicke Enzephalopathie (WE) entsteht aufgrund eines Vitamin B1 (Thiamin)-Mangels. Cave: nicht immer Folge von Alkoholkrankheit!
  • Die WE ist ein neuropsychiatrischer Folgeschaden. Spätfolge ist ein Korsakov-Syndrom (mit partiellem Verlust des Altzeitgedächtnis, Merkfähigkeitsstörung, Unfähigkeit neue Gedächtnisinhalte zu speichern, Fakultativ: Konfabulationen, Mangel an Einsicht, Desorientiertheit)
  • Erstbeschreibung 1881 durch Carl Wernicke.
  • klassische Trias: Bewusstseinsstörung (Verwirrtheit bis Koma) + Okulomotroiusstörung (Nystagmus, bilaterale Abducensparese, konjugierte Blickparese) + Stand-/Gangataxie; cave klassische Trias nur bei 1/3 der Betroffenden vorliegend, bis zu 20% ohne eines der Symptome des Trias.

Thiamin – Patho-Physiologie:

  • wasserlöslich und hitzeempfindlich
  • tägliche Aufnahme beim Gesunden 8-15 mg (Bedarf 1-2 mg/d)
  • aktive Form des Thiamin ist Cofaktor im Citrat-, Pentosephosphat-, und Pyruvatzyklus
  • bei fehlender Zufuhr ist der körpereigene Speicher nach 3 Wochen geleer
  • Thiamin ist bei Alkoholabhängigen deshalb reduziert, da es unter Alkohol zu einer transmembranösen Downregulation thiaminspezifischer Transportproteine in der intestinalen Schleimhaut kommt.

Merke: Iatrogen kann bei prädisponierten Patienten in Notfallsituationen eine Glucose-Infusion eine Wernicke-Encephalopathie hervorrufen, da bei Glucose-Zufuhr der Thiamin-Bedarf plötzlich steigt. Daher bei Hypoglykämie und Notwendigkeit der Glucosezufuhr immer vorher Thiamin substituieren, ohne hierdurch die Glucosezufuhr zu verzögern (cave: viele Rettungs- und Notarztsysteme führen kein Thiamin in der Medikamentenbesückung mit sich!)


Diagnostik:

  • Labor und CT helfen selten weiter, da sich der Thiamin-Stoffwechsel in der Akutsituation schlecht messen lässt und ein normaler Thiaminspiegel die Diagnose nicht ausschliesst
  • MRT nicht beweisend, aber zum Ausschluss von Differentialdiagnosen (z.B. paramedianer Thalamusinfarkt, zerebrales Lymphom, vCJD)
  • MRT-Veränderungen können sich unter prompter Therapie rasch zurückbilden
  • in LP: Laktaterhöhung und leichte Proteinerhöhung
  • Laktaterhöhung im Serum wird als Biomarker diskutiert

Therapie:

  • hochdosierte und intravenöse Thiamin-Substitution: 3 x 200 mg /d für 3 – 7 Tage
  • im Verlauf der Therapie bessert sich zuerst die Okulomotoriusstörung, dann die Gangataxie und zuletzt die kognitiven Defizite, residuelle Defizite sind die Regel
  • Dauer der i.v.-Substitution ist unklar
  • keine subkutane Gabe
  • Risiko einer Komplikation (z.B. Bronchospasmus, Anaphylaxie) liegt bei 1:1.000.000 Anwendungen
  • orale Fortsetzung der Therapie mit 3 x 200 mg p.o.
  • Anregung von Rehabilitationsmassnahmen

Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann keine Gewähr übernommen werden. Jeder Benutzer ist angehalten, durch sorgfältige Prüfung der Beipackzettel der verwendeten Präparate und gegebenenfalls nach Konsultation eines Spezialisten festzustellen, ob die in diesem Blog gegebenen Empfehlung für Dosierungen oder die Beachtung von Kontraindikationen gegenüber der Angabe in diesem Blog abweicht. Eine solche Prüfung ist besonders wichtig bei selten verwendeten Präparaten oder solchen, die neu auf den Markt gebracht worden sind. Jede Dosierung oder Applikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers. Wir appellieren an jeden Benutzer etwa auffallende Ungenauigkeiten uns mitzuteilen.

Bild: mit freundlichen Genehmigung von Dr. Peter Voigt, Abteilung Neuroradiologie, Universitätsklinikum Leipzig.

2 thoughts on “Wernicke Encephalopathie

  1. Ein in den USA gängiges Vorgehen im RD (…vor Glucosegabe Thiamin verabreichen). Unverständlich warum sich dies im deutschen RD bis heute nicht etabliert hat. Der RD hat nicht nur die Aufgabe bestehende Symptome u. Krankheitsbilder zu therapieren sondern auch weiterzudenken und Folgeschäden im Blick zu haben und diese wenn möglich zu vermeiden.

  2. Guter und verständlicher Artikel zum Thema Thiamin bei chron. Alkoholikern in der ZNA. Ich habe selbst erfahren, wie sich die Überzeugung einer nicht regelmäßig notwendigen Thiamin-Substitution noch heute bei vielen erfahrenen Notfallmedizinern hält.
    Auch zum Thema Glucose-Infusion und Thiamin sollte mehr Aufklärung betrieben werden. Wer mehr für dieses Thema mehr Hintergrundinformationen zur Biochemie haben möchte, ist hier gut aufgehoben:
    http://www.ebmconsult.com/articles/thiamine-administration-before-iv-glucose-alcoholics

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