Ist eine standardisierte Ausbildung in der Ultraschalldiagnostik ein „Muss“ in der prähospitalen Notfallmedizin?

Ist eine standardisierte Ausbildung in der Ultraschalldiagnostik ein „Muss“ in der prähospitalen Notfallmedizin?

Ein Gastbeitrag von Marija Mladenovic, Göttingen und Ulf Harding, Wolfsburg

Einleitung

Das Konzept der prähospitalen Versorgung kritisch kranker Patienten hat sich mit der Weiterentwicklung medizinischer Techniken und Geräte verändert und fortentwickelt. Heutzutage ist die point-of-care Sonographie (POCUS) zu einem festen Bestandteil der prähospitalen Notfallversorgung geworden, deren Nutzen in mehreren Studien nachgewiesen wurde. Der Einsatz von POCUS wirkt sich nachweislich positiv auf eine frühere Stellung der Diagnose, sicherere Indikationen für invasive Eingriffe und Wahl einer geeigneten Klinik aus. Dennoch kann ein unkoordinierter Einsatz zu Behandlungs- und Zeitverzögerungen führen. Es ist daher wichtig, ein angemessenes Ausbildungsniveau für Notärzte zu schaffen.

POCUS ist Bestandteil aktueller Leitlinien und in den aktuellen Empfehlungen des European Resuscitation Council zur Behandlung des Herz-Kreislauf-Stillstands für erfahrene Anwender empfohlen. Jedoch ist eine zertifizierte Ausbildung für die Erlangung der Zusatzbezeichnung Notfallmedizin nicht erforderlich. Ziel der vorgestellten Studie ist es, den Ausbildungsstand und die POCUS-Erfahrung von Notärztinnen und Notärzten in Deutschland zu evaluieren.

Eimer, C., Lorenzen, U., Reifferscheid, F. et al. Ultraschalldiagnostik in der prähospitalen Notfallmedizin – brauchen wir eine standardisierte Ausbildung? Med Klin Intensivmed Notfmed 119, 309–315 (2024). https://doi.org/10.1007/s00063-023-01045-4

 

Eine kurze Zusammenfassung der Arbeit:

Die Studie wurde vom 08.02.2022 bis 24.05.2022 als Online-Befragung von Notärztinnen und Notärzten in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt. Die Online-Umfrage beinhaltet 18 Fragen, die entweder als „single-choice“-, „multiple-choice“- oder Likert-Skala-basierte Frage (Skalenniveau 0–10) gestellt wurden. Die Daten der Studie wurden entsprechend statistisch aufbereitet.

Ergebnisse:

  • Insgesamt nahmen 1079 Ärzte an der Umfrage teil. Davon wurden 853 vollständige Datensätze analysiert, 226 wurden aufgrund unvollständiger Daten ausgeschlossen.
  • 52,1 % der Teilnehmenden bestätigten, im Notarztdienst ein Ultraschallgerät zur Verfügung zu haben (bundeslandabhängig 14,3–93,8 %).
  • Die Teilnehmenden waren vorwiegend Fachärztinnen und -ärzte für Anästhesiologie (68,8 %) oder Innere Medizin (11,6 %) mit einer mehrjährigen notärztlichen Erfahrung (mehr als 10 Jahre Erfahrung im Notarztdienst 42,9 %).
  • Die Anwendung der POCUS in der prähospitalen Notfallmedizin wurde von 71,9 % der Teilnehmenden als nützlich betrachtet. Die Teilnehmenden gaben an, pro Monat 0–10 (34,9 %), 11–50 (43,8 %), 51–100 (13,0 %), > 100 (8,2 %) Ultraschallanwendungen durchzuführen.
  • Die Erfahrung in Notfallultraschalluntersuchungen wurde auf der Likert-Skala von 0–10 mit einem Median von 7 (IQR 4–8) angegeben. 4,3 % der Teilnehmenden hatten keine Erfahrung in Notfallultraschallverfahren (Likert-Skala = 0) und 8,2 % bestmögliche POCUS-Erfahrungen (Likert-Skala = 10). In Bezug auf die Organe bewerteten die Teilnehmenden ihre POCUS-Fähigkeiten am besten für Untersuchungen der Lunge/Pleura (Median 7, IQR 5-9), Abdomen (Median 6, IQR 4-8) und Herz (Median 5, IQR 3-7).
  • Der Faktor, der zu einer signifikant besseren Bewertung der eigenen POCUS-Kompetenzen führte, ist die Teilnahme an einer DEGUM-zertifizierten Ultraschallausbildung. Darüber hinaus zeigte die Studie eine statistisch signifikante Korrelation zwischen der Anzahl der monatlichen Ultraschallanwendungen im klinischen Alltag und der Selbsteinschätzung der allgemeinen und organspezifischen POCUS-Fähigkeiten (p < 0,001).
  • Die Häufigkeit des Einsatzes im Notarztdienst korreliert statistisch signifikant mit der Einschätzung der allgemeinen POCUS-Fähigkeiten (p = 0,021).
  • Statistisch signifikant zeigte sich auch der Zusammenhang zwischen der Erfahrung als Notarzt und der Selbsteinschätzung der allgemeinen POCUS-Fähigkeiten (p = 0,045) sowie im Lungen- und Pleurasonografie (p = 0,001).

Fazit:

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Mehrheit der Notärztinnen und -ärzte den Einsatz von POCUS in der prähospitalen Notfallmedizin für sinnvoll hält. Die Verfügbarkeit von tragbaren Ultraschallgeräten im Rettungsdienst ist jedoch sehr unterschiedlich. Seit 2019 empfiehlt die DEGUM eine Vorhaltung von Ultraschallgeräten auf arztbesetzten Rettungsmitteln. Die Arbeit von Eimer et al. dokumentiert jedoch, dass POCUS derzeit nicht flächendeckend im Rettungsdienst verfügbar ist. Es zeigen sich zwischen den Bundesländern starke Schwankungen und es ergibt sich mit Blick auf die Einschätzung der Studienteilnehmenden sicherlich ein Handlungsbedarf für eine flächendeckende Ausstattung aller arztbesetzter Rettungsmittel. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass eine strukturierte Ausbildung und die regelmäßige Anwendung von Ultraschall im klinischen Alltag einen positiven Effekt auf die POCUS-Kompetenz haben. Der Studie zufolge verfügte etwa die Hälfte der Teilnehmenden über eine POCUS-Ausbildung gemäß DEGUM-Kriterien. Die Ergebnisse der Studie untermauern die Forderung einer Integration des zertifizierten Nachweises der Notfall-Ultraschalldiagnostik in die Weiterbildungsordnung für die Zusatzbezeichnung „Notfallmedizin“. Ebenso legen die Ergebnisse den Schluss nahe, dass sich die tägliche Anwendung der Ultraschalldiagnostik positiv auf die fachliche Kompetenz von Notärztinnen und -ärzten auswirkt und schlussendlich zu einer besseren Patientenversorgung beiträgt.

One thought on “Ist eine standardisierte Ausbildung in der Ultraschalldiagnostik ein „Muss“ in der prähospitalen Notfallmedizin?

  1. Lieber Michael,
    besten Dank für den aktuellen „News Paper“-Post und ebensolchen Dank an die Autoren Mladenovic und Harding, die das zentrale Paper für uns aufgearbeitet haben.
    Die Eingangsfrage des Beitrags nach dem „Muss“ beantwortet der Arbeitskreis Notfallsonografie der DEGUM seit Beginn der Ausbildungsaktivitäten in 2011 mit der Aussage: „Notfallsonografie ist als ein integraler Bestandteil der Erstversorgung des Notfallpatienten zu sehen.“
    Dementsprechend zeigen die Kollegen Eimer et al. auch eindrücklich, dass ein relevanter Teil der notärztlich tätigen Kolleg*Innen (43,8%) ein solches Ausbildungsangebot bereits in Anspruch genommen hat.
    Und bei allen zweifellos noch anzupackenden Problemen (Vorhaltung der Geräte, Verpflichtung zur Ausbildung) erlaube ich mir, einen überaus positiven Aspekt hervorzuheben: während wir normalerweise nach der Feststellung eines Optimierungsbedarfs zunächst erst noch geeignete Infrastruktur für Optimierungsmaßnahmen schaffen müssen, ist diese Infrastruktur beim Thema „POCUS für Notfälle“ bereits vorhanden. Mehrere Arbeitsgruppen bieten Notfallsonografiekurse mit im Wesentlichen deckungsgleichen Inhalten schon seit Jahren an und auch ein weiterführendes Ausbildungskonzept ist zumindest seitens der DEGUM (interdisziplinär) und der DGAI (für Anästhesisten) etabliert.
    Vor diesem Hintergrund erscheint es mir daher allerdings widersinnig, wenn mit der (auch im Ausgangspaper formulierten) Forderung nach speziellen Kurskonzepten für Präklinische Notfallsonografie ein neues Problem künstlich geschaffen wird, wo eigentlich gar keines ist. Denn die präklinische Anwendung unterschiedet sich inhaltlich lediglich durch eine etwas geringere Anzahl von sinnvollen sonografischen Fragestellungen vom klinischen Schall. Spezielle Kurse erscheinen daher unsinnig. Und diesen derzeit nur vereinzelt und noch im experimentellen Stadium angebotenen speziellen präklinischen POCUS-Kursen eine alleinstellende Verpflichtung für die Tätigkeit in der präklinischen Notfallmedizin zuschreiben zu wollen, wie vereinzelt geschehen, erscheint mir absurd und einer zeitnahen quantitativen und qualitativen Optimierung der Ausbildungssituation hochgradig abträglich. Hier sollten Inhalte und nicht Kurskonzepte eingefordert werden.
    Ich wünsche mir für die strukturelle Verbreitung der Notfallsonografie eine Bündelung der Ausbildungsaktivitäten, die frei von berufspolitischen und fachgesellschaftlichen Interessen eine gemeingültige Grundlage für eine standardisierte Ausbildung in der Notfallsonografie liefern kann, statt mit neuen Kurskonzepten das längst schon rollende Rad neu erfinden zu wollen.
    Herzliche Grüße, Armin Seibel

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