Exzellenz in der prähospitalen Notfallmedizin Was bringt die Einführung von Standards? EPIC-Studie

Ein Beitrag von PD Dr. Jürgen Knapp, Bern/Schweiz:

Spaite DW et al. Association of Statewide Implementation of the Prehospital Traumatic Brain Injury Treatment Guidelines With Patient Survival Following Traumatic Brain Injury. The Excellence in Prehospital Injury Care (EPIC) Study. JAMA Surgery 2019; doi:10.1001/jamasurg.2019.1152

Im US-Bundesstaat Arizona wurden zwischen Februar 2012 und Januar 2015 nach und nach in den einzelnen Rettungsdienstbereichen standardisierte Behandlungsprotokolle zur prähospitalen Behandlung von Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma (SHT)eingeführt und das Personal einem entsprechendem Training (Train-the-Trainer-Strategie) unterzogen.

Das SOP zur Behandlung des SHT umfasste im Wesentlichen folgende Punkte:

  • strikte Vermeidung/Therapie einer Hypoxie durch möglichst frühzeitige Applikation von Sauerstoff
  • sicheres Atemwegsmanagement zur Optimierung der Oxygenierung und Ventilation: Beutel-Masken-Beatmung, endotracheale Intubation oder supraglottische Atemwegshilfsmittel bei Patienten mit GCS ≤8 (wenn Basismaßnahmen ineffizient waren)
  • strikte Vermeidung einer Hyperventilation (endtidaler pCO<35 mmHg)
  • strenge Vermeidung/Behandlung einer Hypotension (definiert als systolischer Blutdruck <90 mmHg) durch Infusion von „isotoner Flüssigkeit“

Einschlusskriterien:

  • direkter Transport ins Traumazentrum oder Sekundärtransport durch eine der teilnehmenden Rettungsdienstorganisationen
  • isoliertes SHT oder SHT im Rahmen einer Mehrfachverletzung
  • AIS für Kopfverletzungen von mindestens 3

Verglichen wurde das Behandlungsergebnis der Patienten vor und nach Einführung dieses SOPs. Die Behandlungsergebnisse der Patienten, die während der Implementierungsphase behandelt wurden, wurden nicht ausgewertet.

  • primärer Outcome-Parameter: Überleben bis Krankenhausentlassung
  • sekundärer Outcome-Parameter: Überleben bis Krankenhausaufnahme
  • zusätzlich wurde noch das Überleben bis zur Krankenhausaufnahme bzw. -entlassung evaluiert, wenn die Patienten in eine Gruppe mit
    • mäßig schweren Verletzungen (ISS 1-14, AIS der Kopfverletzungen 1 oder 2)
    • schweren Verletzungen (ISS 16-24, AIS der Kopfverletzungen 3 oder 4)
    • kritischen/extrem schweren Verletzungen (ISS 25-75, AIS der Kopfverletzung 5 oder 6)

Ergebnisse:

  • insgesamt 21.852 Patienten in der Zeit von Januar 2017 bis Juni 2015
  • n=15.228 Patienten wurden durch die verschiedenen Rettungsdienste vor Einführung des SOP versorgt, n=6.624 Patienten nach dessen Implementation
  • nach Implementierung des SOP fanden sich folgende Veränderungen:
    • weniger Patienten, die initial hypoxämisch waren, kamen auch noch mit einer Hypoxämie noch im Schockraum an
    • mehr intravenöse Flüssigkeitsgabe
    • initial hypotensiv Patienten kamen im Schockraum häufiger mit einem stabilisierten systolischen Blutdruck an
    • weniger endotracheale Intubationen (17% vs. 19% vor Einführung des SOP)
    • mehr Beutel-Masken-Beatmung (5% vs. 4%)
    • weniger intubierte Patienten, die hyperventiliert wurden
  • das Überleben bis zur Krankenhausentlassung war über die Gesamtheit der SHT-Patienten gesehen nach Einführung des SOP nicht signifikant besser als zuvor Die an relevante beeinflussende Faktoren (wie z.B. Alter, Verletzungsschwere insgesamt, Schwere des SHT, behandelndes Traumazentrum etc.) angepasste Chance auf Krankenhausentlassung war nach Einführung des SOP nur geringfügig und nicht signifikant um den Faktor 1,06 (95%-Konfidenzintervall 0,93-1,21, p=0,40) erhöht.
  • die Chance, das Krankenhaus lebend zu erreichen, war jedoch nach SOP-Implementierung deutlich höher als ohne SOP: angepasste odds ratio (aOR): 1,70 (95%-KI: 1,38-2,09, p<0,001).
  • bei den nur mäßig verletzten Patienten zeigte sich durch die Einführung der SOP kein Effekt auf die Überlebensrate
  • bei den schwer verletzten Patienten zeigte sich nach Einführung der SOP ein aOR für Krankenhausentlassung von 2,03 (1,52-2,72), für Krankenhausaufnahme sogar von 9,62 (3,81-29,94)
  • bei den kritisch verletzten Patienten war die Chance auf Krankenhausentlassung nach Einführung der SOP nicht signifikant verbessert, aber zumindest die Chance, lebend das Krankenhaus zu erreichen, war deutlich besser: aOR 1,63 (1,32-2,00)
  • eine weitere Subgruppe der Patienten, die nach Einführung des SOP ein deutlich besseres Outcome hatte als vorher war die Gruppe der schwerverletzten Patienten (ISS 16-24, AIS der Kopfverletzungen 3 oder 4), die prähospital intubiert werden mussten oder mittels Beutel-Masken-Beatmung oder supraglottischem Atemweg ventiliert werden mussten. Die Chance für eine Krankenhausentlassung war in dieser Patientengruppe nach SOP-Implementierung um den Faktor 3 höher als vorher.
  • ein interessantes Nebenergebnis der Studie zeigt, dass der Effekt in der Frühphase nach Einführung des SOP deutlich größer war als >19 Monate nach dessen Einführung: aOR 1,16 in der Frühphase vs. 0,95 in der „Spätphase“

Interpretation und Diskussion:

  • Auf den ersten Blick kann man zwar enttäuscht sein über das Ergebnis hinsichtlich des primären Outcome-Parameters: die Einführung des SOP hat keinen relevanten Einfluss auf das Überleben bis zur Krankenhausentlassung im Gesamtkollektiv der SHT-Patienten.
  • Erfreulicherweise zeigt sich aber bei den schwerverletzten Patienten ein deutlicher Effekt zugunsten einer etwa doppelt so hohen Chance das Krankenhaus lebend zu verlassen. Dies ist gerade beim SHT durchaus verständlich: bei den weniger schwerverletzten Patienten macht es keinen Unterschied, ob man „draußen“ gute leitlinienorientierte Notfallmedizin macht oder vielleicht auch gar nichts macht. Ebenso bei den extrem schwer verletzten Patienten: hier kann man sich oft noch so sehr anstrengen, ein Großteil der Patienten verstirbt.
  • Die Krankenhausentlassungsrate als primärer Outcome-Parameter ist zwar klinisch das relevante Ergebnis. Für eine Intervention im ausschließlich prähospitalen Bereich der Notfallmedizin ist jedoch ein aOR von 1,7, das Krankenhaus lebend zu erreichen, ein eindrückliches Ergebnis. Insbesondere beim SHT, bei dem die Entwicklung von Hirndruck und konsekutiver Einklemmung ja oft mit einer Verzögerung von einigen Stunden und somit in der innerklinischen Phase der Patientenversorgung auftritt.
  • die höhere Überlebensrate bei den beatmungspflichtigen Patienten nach Einführung des SOP führen die Autoren auf eine strikte Vermeidung einer Hyperventilation (definiert als endtidaler pCO2<35 mmHg) sowie strengen Fokus auf Oxygenierung und Präoxygenierung durch die SOP zurück.
  • in dem SOP, dessen Einführung im Rahmen dieser Studie untersucht wurde, wurde die Notwendigkeit einer Beatmung bzw. endotrachealen Intubation auch nicht mehr alleinig am GCS (der „berühmte“ Merksatz „GCS ≤8…intubate“) festgemacht, sondern am Persistieren einer Hypoventilation und/oder Hypoxämie (SpO2<90%) trotz high-flow-Sauerstoffgabe via Maske und der üblichen Basismaßnamen zum Offenhalten der Atemwege.

Fazit für die Praxis:

  • exzellente Medizin braucht SOP auch im prähospitalen Bereich
  • klare, an Leitlinien und medizinische Evidenz angepasste SOP für die prähospitale Notfallmedizin können das Überleben von Notfallpatienten verbessern
  • die Einhaltung dieser SOPs bedürfen eines regelmäßigen Trainings und einer Auffrischung
  • Basismaßnahmen zur guten Oxygenierung/Präoxygenierung des Patienten, das Airwaymanagement und die Fähigkeiten, während der Versorgung eines SHT-Patienten eine Hypotension schnell und effektiv therapieren zu können oder zum Beispiel im Rahmen einer Narkoseeinleitung streng zu vermeiden, müssen beherrscht werden.
  • eine Hyperventilation, die erfahrungsgemäß vor allem unmittelbar nach der Intubation oft unabsichtlich (z.B. während der auskultatorischen Lagekontrolle) durchgeführt wird sollte vermieden werden und die Ventilation unbedingt kapnografisch im Sinne einer Normoventilation gesteuert werden.

Der 1. Düsseldorfer Triple ED Day findet am 28.09.2019 im Universitätsklinikum Düsseldorf statt. Die Teilnahme ist kostenfrei.

Programmflyer: Duesseldorfer_Triple_ED_Day_2019

Anmeldung unter: ZNA@med.uni-duesseldorf.de

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