Gretchenfrage: To cath or not to cath?

Es wird angenommen, dass Akute Koronarsyndrome (ACS) die häufigste Ursache für Herzstillstand außerhalb des Krankenhauses bei Erwachsenen darstellen. Dabei stellt die unmittelbare Herzkatheteruntersuchung eine wichtige – eigentlich die wichtigste – Behandlungsoption beim Myokardinfarkt als Ursache des Herzkreislaufstillstand dar. Aber welche Gruppe an Patienten profitieren am meisten von der Herzkatheteruntersuchung. Nikolaos I Nikolaou hat in Resuscitation gerade dazu einen Kommentar geschrieben:

Nikolaou NI. No ST-segment elevation after Return of spontaneous circulation and non-shockable initial rhythm of cardiac arrest. To cath or not to cath? Resuscitation 2020, https://doi.org/10.1016/j.resuscitation.2020.07.033

Erstens und am wichtigsten ist, dass nur Patienten mit einer akuten Koronarläsion, die in eine Herzkatheteruntersuchung behandelt werden kann, von einem Koronarangiographie profitieren. Daher sollten sich idealerweise nur Patienten mit einem hohen Risiko für eine akuten Koronarläsion einer Koronarnagiographie unterziehen. Aber selbst bei Patienten mit einem ACS ist der günstige Effekt einer sofortigen Reperfusion nicht für alle gleich sein. Diejenigen mit anhaltender Ischämie, STEMI, großen und komplizierten Infarkten werden am meisten profitieren.

Die Auswahl von Patienten mit wiedereintritt eines Spontankreislaufes (ROSC) nach Herzkreislaufstillstand, die wahrscheinlich von einer sofortigen Koronarangiographie profitieren werden, wird zusätzlich durch die Tatsache erschwert, dass in dieser Situation das Vorliegen einer schweren neurologischen Beeinträchtigung jeden Nutzen durch eine sofortige koronare Reperfusion aufwiegen kann. Nach dem Motto: Koronarien sind geheilt, Patient aber neurologisch schwerst beeinträchtigt.

Andererseits werden Patienten ohne akute Koronarläsion den Risiken einer Koronarangiographie ausgesetzt sein, ohne dass ein potenzieller Nutzen besteht. Die Risiken mit Koronarangiographie ergeben sich aus

  • den erforderlichen intra- und interhospitalen Überführungen der Patienten in das Herzkatheterlabor,
  • den Komplikationen der Angiographie und der Verabreichung von Kontrastmitteln, Thrombozytenaggregationshemmern und Antikoagulanzien.

In einer kürzlich erschienenen systematischen Übersicht lag die Inzidenz eines zusammengesetzten Endpunkts, der Tod durch kardiale Ursachen, Myokardinfarkt, Schlaganfall und Blutungen während der ersten 30 Tage nach der Intervention einschloss, bei 4,2%. Die kontrastmittelbedingte Nephropathie ist bei diesen Patienten nicht ungewöhnlich und kann mit einer höheren Krankenhausmortalität assoziiert sein.

Darüber hinaus kann die routinemäßige Anwendung dieser invasiven Managementstrategie mit verschiedenen logistischen und organisatorischen Problemen verbunden sein, die sich aus dem Mangel an Ressourcen, Personal, Infrastruktur, Erfahrung und Wissen in den verantwortlichen medizinischen Systemen ergeben. Trotz der bestehenden Einschränkungen ist das Vorhandensein einer ST-Strecken-Erhöhung (STEMI) auf dem Post-ROSC-EKG das einzige weit verbreitete Kriterium für die Patientenauswahl für ein notfallmässige Koronarangiographie. Die Mehrheit der Patienten mit STEMI wird eine akute Koronarläsion haben. Aktuelle Leitlinien empfehlen eine sofortige Revaskularisierung dieser Patienten.

Die optimale invasive Strategie für Patienten ohne STEMI im Post-ROSC-EKG wird seit langem diskutiert. Die Wahrscheinlichkeit, bei diesen Patienten eine schuldige Läsion zu finden, ist viel geringer als bei Patienten mit STEMI und liegt in den vorliegenden Berichten zwischen einem Viertel und einem Drittel der Patienten. Eine aktuelle Studie (Lemkes et al.) zeigte keinen Nutzen mit routinemäßigem sofortigem Koronarangiographie bei Patienten ohne STEMI nach ROSC im Vergleich zur Koronarangiographie nach neurologischer Genesung.

Lemkes JS, Janssens GN, Van Der Hoeven NW, Jewbali LSD, Dubois EA, Meuwissen M, et al. Coronary angiography after cardiac arrest without ST-segment elevation. N Engl J Med. 2019 Apr 11;380(15):1397–407.

In diese Studie wurden nur hämodynamisch stabile Patienten mit schockierbarem Anfangsrhythmus eingeschlossen. Eine Reihe randomisierter Studien sind in diesem Bereich im Gange.

In der aktuellen Ausgabe von Resuscitation konzentrieren sich Voicu et al.auf eine Untergruppe von Patienten ohne STEMI im Post-ROSC-EKG, aber auch mit einem nicht schockierbaren Anfangsrhythmus des OHCA:

Voicu S, Bajoras V, Gall E, Deye N, Malissin I, Dillinger J-G, et al. Immediate coronary angiogram in out- of-hospital cardiac arrest patients with non-shockable initial rhythm and without ST-segment elevation – is there a clinical benefit? Resuscitation  2020; https://linkinghub.elsevier.com/retrieve/pii/S0300957220302586

Patienten mit einem anfänglich nicht schockierbaren Rhythmus sind die häufigste Gruppe von Patienten mit prähospitalen Herzkreislaufstillstand und haben im Vergleich zu Patienten mit einem schockbaren Anfangsrhythmus die schlechteste Prognose. Das Vorhandensein von akuten Koronarläsionen wird in Beobachtungsstudien nur sehr selten berichtet.

Daher liefert die vorliegende Studie wichtige Beweise aus dem wirklichen Leben für eine häufig anzutreffende, aber unterrepräsentierte Patientengruppe: Dieser Bericht basiert auf einer retrospektiven Kohorte von erwachsenen Patienten mit ROSC nach prähospitalen Herzkreislaufstillstand mit vermuteter kardialer Ursache. Alle Patienten wurden bei der Aufnahme routinemäßig einer Koronarangiographie unterzogen. Das Hauptaugenmerk lag auf 311 Personen ohne STEMI im Post-ROSC-EKG. Von ihnen hatten 179 einen nicht schockbaren Anfangsrhythmus. Diese Patienten wiesen im Vergleich zu Patienten mit schockbarem Anfangsrhythmus ungünstigere prognostische Merkmale auf. Sie wiesen eine signifikant längere No-Flow-Dauer, höhere Raten von Kreislaufschocks, eine geringere Prävalenz von ACS (1% gegenüber 22%) und höhere Mortalitätsraten (85% gegenüber 39%) auf. Von den Patienten mit ACS ohne STEMI überlebte keiner in der Gruppe mit nicht schockbarem Anfangsrhythmus, während 69% in der Gruppe mit schockbarem Anfangsrhythmus überlebten.

Die Prävalenz des ACS bei Patienten ohne ST-Strecken-Hebung und nicht schockbarem Anfangsrhythmus ist extrem niedrig und die Überlebensrate extrem schlecht, weshalb es sehr unwahrscheinlich ist, dass eine routinemässige Notfall-Koronarangiographie diesen Patienten einen Nutzen bringt. Darüber hinaus können zusätzlich zur Reduzierung unnötiger Risiken für die Patienten erhebliche Anstrengungen und Kosten eingespart werden. Die Daten sind einzigartig in Bezug auf die Ermittlung der Rate der Patienten mit einem ACS, da dies die einzige relevante Fallserie ist, in der allen Patienten ein Koronarangiographie angeboten wurde.

Andere Studien berichten von einer unterschiedlichen Anzahl von Patienten mit ACS. Dies ist angesichts der unterschiedlichen Fallmischung von Patienten mit OHCA in verschiedenen Regionen der Welt nicht überraschend. Unterschiedliche Reaktionszeiten der lokalen Rettungssysteme beeinflussen auch die Prävalenz eines nicht schockbaren Anfangsrhythmus. Einige Patienten mit Kammerflimmern werden eine Asystolie als ersten Rhythmus aufweisen, wenn die Reanimation verzögert startet. Es ist einfach, die Untergruppe mit nicht schockbarem Anfangsrhythmus bei Patienten ohne STEMI nach ROSC zu identifizieren, da der anfänglich aufgezeichnete Rhythmus der Herzkreislaufstillstandes routinemässig von den Notfallteams gemeldet wird. Dies kann im Hinblick auf die Prognose und Risikostratifizierung einen gewissen Vorteil gegenüber aufwändigeren prognostischen Frühwerten für diese Patienten bieten. Einige der für die Berechnung dieser Scores erforderlichen Informationen, wie z.B. No-Flow- und Low-Flow-Zeiten, stehen möglicherweise nicht immer zur Verfügung oder können im akuten Umfeld der OHCA Schätzfehler aufweisen. Darüber hinaus ist eine externe Validierung dieser Scores erforderlich, bevor sie als Standardverfahren akzeptiert werden.

Andererseits ist es von größter Wichtigkeit, pessimistische Vorhersagen zu vermeiden, wenn man schlechte neurologische Ergebnisse vorhersagt. In zwei einschlägigen Publikationen wurde die Strategie verfolgt, Angiographien nur Patienten mit hohem ACS-Risiko anzubieten, und es ist gelungen, bei 32% und 33% der Patienten, die ein Koronarangiographie hatten, ein ACS zu identifizieren. Weitere Studien sind hier notwendig um spezifischere Vorhersagen treffen zu können.

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Wichtiger Hinweis: Keine Präsenzveranstaltung sondern ausschliesslich ONLINE:

Düsseldorfer „Triple ED Day“ am 12.09.2020 – Ein Tag Notfallmedizin und Notaufnahme. Teilnehmen kann jeder, der sich kostenlos unter  www.nowtogo.de  registriert hat. Die Veranstaltung ist weiterhin kostenfrei. PDF des ONLINE-Programms:  2020_FlyerDEDD_Online

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Gemeinsam mit den Organisatoren des Hauptstadtkongresses der DGAI für Anästhesiolgie und Intensivtherapie verlost news-papers.eu drei Tickets für die Teilnahme an diesem virtuellen Kongress im Wert von je € 120,-. Weitere Informationen: http://news-papers.eu/?p=12011

 

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