CRASH-3: TXA jetzt beim SHT ?

Ein Beitrag von PD Dr. Jürgen Knapp, Bern/Schweiz:  Gerade wurden die Ergebnisse der CRASH-3-Studie veröffentlicht. Die Metaanalyse von zwei vorhergehenden Studien (mit allerdings zusammen nur rund 500 Patienten) zum Nutzen von Tranexamsäure (TXA) bei Schädel-Hirn-Trauma hat schon angedeutet, dass SHT-Patienten hinsichtlich Mortalität von einer TXA-Gabe profitieren können.

Zehtabchi S et al.

Tranexamic Acid for Traumatic Brain Injury: A Systematic Review and Meta-analysis.

Am J Emerg Med 2014; 32: 1503-9

doi: 10.1016/j.ajem.2014.09.023

Nun liegen aber endlich die Ergebnisse der sehr groß angelegten (n=12.737 Patienten) randomisiert und Placebo-kontrollierten CRASH-3-Studie vor. Und die Schlussfolgerung der Autoren lautet:

Our results show that tranexamic acid is safe in patients with TBI and that treatment within 3 h of injury reduces head injury-related death. Patients should be treated as soon as possible after injury.

The CRASH-3 trial collaborators

Effects of tranexamic acid on death, disability, vascular occlusive events and other morbidities in patients with acute traumatic brain injury (CRASH-3): a andomized, placebo-controlled trial.

Lancet 2019; online first; https://doi.org/10.1016/S0140-6736(19)32233-0

Bevor jetzt aber endgültig ein Hype um die Tranexamsäure ausbricht, lohnt sich wie immer ein genauer Blick auf die Studie.

  • internationale, randomisierte, Placebo-kontrollierte Multicenter Studie (175 Kliniken in 29 Ländern)
  • sehr pragmatische Einschlusskriterien der Patienten:
    • SHT mit GCS ≤12 oder Nachweis einer intrakraniellen Blutung im CT
    • weniger als 3 Stunden nach dem Trauma-Ereignis
    • keine schwere extrakranielle Blutung
  • methodisch war die CRASH-3-Studie eng an die CRASH-2 angelehnt:
    • es wurde ebenfalls initial 1 g TXA über 10 min appliziert, dann im Anschluss 1 g TXA über 8 Stunden
    • entscheidend für den Einschluss der Patienten in die Studie war auch hier die Unsicherheit des behandelnden Arztes, ob die TXA-Gabe indiziert ist oder nicht.
  • primärer Outcome-Parameter: durch das SHT bedingte Sterblichkeit der Patienten, die TXA innerhalb von 3 Stunden nach dem Trauma erhalten haben, nach 28 Tagen
  • sekundäre Outcome-Parameter u.a.:
    • durch das SHT verursachte Sterblichkeit innerhalb von 24 Stunden nach dem Trauma
    • Gesamt-Mortalität
    • neurologisches Behandlungsergebnis
    • thrombotische und embolische Ereignisse
    • Krampfanfälle
    • Intensivverweildauer
    • Komplikationen
  • vordefinierte Subgruppen-Analyse: da Patienten, die bereits initial einen GCS von 3 oder beidseits nicht lichtreagible Pupillen haben, meist ein sehr schlechtes Outcome haben und durch eine TXA-Gabe kein protektiver Effekt mehr zu erwarten ist, untersuchten die Autoren noch die Subgruppe der Patienten unter Ausnahme dieser o.g. Patientengruppe
  • ursprünglich war der Einschluss von 10.000 Patienten geplant. Da man sich jedoch erst nach Start der Studie dazu entschlossen hat, nur die Patienten einzuschließen, die innerhalb von 3 Stunden nach dem Trauma randomisiert werden konnten (und damit übrigens auch nachträglich den primären Endpunkt der Studie geändert hat), wurde die Studiengröße nachträglich auf 13.000 Patienten erhöht
  • Untersuchungszeitraum: 20.7.2012 bis 31.1.2019 (terminiertes Ende der Studie, daher wurden nicht ganz 13.000 Patienten erreicht)
  • randomisiert wurden insgesamt 12.737 Patienten
  • 6.359 Patienten konnten in der TXA-Gruppe ausgewertet werden (4.613 Patienten erhielten TXA innerhalb von 3 h nach dem Trauma)
  • 6.280 Patienten in der Placebo-Gruppe konnten ausgewertet werden (davon erhielten 4.514 Patienten das Placebo innerhalb von 3 h)
  • insgesamt betrug die durch das SHT verursachte Sterblichkeit in der TXA-Gruppe 18,5% und in der Placebo-Gruppe 19,8%. Das relative Risiko (RR) beträgt damit 0,94 (95%-Konfidenzintervall 0,86-1,02).
  • in der Subgruppenanalyse (ohne die Patienten mit einem initialen GCS von 3 oder beidseits nicht lichtreagiblen Pupillen) zeigte sich eine SHT-bedingte Sterblichkeit von 12,5% in der TXA-Gruppe (485 von 3.880 Patienten) und 14,0% in der Placebo-Gruppe (525 von 3.757 Patienten). Damit beträgt das RR 0,89 (95%-Konfidenzintervall: 0,80-1,00).
  • in weiteren (im Nachhinein definierten) Subgruppen wurden folgende Ergebnisse gefunden:
    • GCS 9-15 (also mittelschweres bis leichtes SHT): RR 0,78 (95%-KI: 0,64-0,95)
    • GCS 3-8 (schweres SHT): RR 0,99 (95%-KI: 0,91-1,07)
    • beidseits reagible Pupillen: RR 0,87 (95%-KI: 0,77-0,98)
    • einseitig nicht reagible Pupille: RR 1,03 (95%-KI: 0,94-1,13)

  • der Effekt der TXA-Gabe wurde auch noch hinsichtlich des Zeitpunkts der Applikation evaluiert. Bei schwerem SHT (GCS 3-8) kann kein Effekt nachgewiesen werden, egal zu welchem Zeitpunkt TXA appliziert wurde. Bei mittelschwerem und leichtem SHT (GCS 9-15) war ein Effekt nur zu erkennen, wenn TXA <3 Stunden nach dem Trauma appliziert wurde.
  • auf die Gesamtmortalität (also nicht nur SHT-bedingt) hatte die TXA-Gabe keinen Einfluss: RR 0,96 (95%-KI: 0,89-1,04)
  • das relative Risiko für die frühe SHT-bedingte Mortalität in den ersten 24 Stunden nach dem Trauma in der TXA-Gruppe betrug 0,81 (95%-KI: 0,69-0,95) und in der Subgruppe ohne die Patienten mit GCS 3 oder beidseits lichtstarren Patienten 0,72 (95%-KI: 0,56-0,92).
  • Hinsichtlich des neurologischen Behandlungsergebnisses gab es keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen, egal, ob TXA <3 Stunden nach dem Trauma verabreicht wurde oder nicht und unabhängig von der Schwere des SHT. Bei den überlebenden Patienten gab es hinsichtlich der Behinderung keine Unterschiede zwischen den Gruppen.
  • hinsichtlich der Komplikationen gab es keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen:
    • tiefe Venenthrombose: 0,3% in beiden Gruppen
    • Lungenembolie: 0,4% in der TXA-Gruppe vs. 0,5% in der Placebo-Gruppe
  • im Unterschied zur CRASH-2-Studie erhöhte sich die Komplikationsrate nicht, wenn TXA mehr als 3 Stunden nach dem Trauma verabreicht wurde
  • auch in der CRASH-3-Studie wurde ähnlich wie in CRASH-2 die Mehrzahl der Patienten in Entwicklungs- und Schwellenländern rekrutiert. Aus Europa stammten nur 15 Patienten aus Slowenien, 12 Patienten aus Irland, 35 aus Rumänien, 72 aus Italien, 214 aus Albanien, 425 aus Spanien und 3.143 aus dem Vereinigten Königreich. Dazu nur Kanada mit 7 Patienten und Japan mit 165 Patienten als weitere Industrieländer. Dieser große Kritikpunkt wurde in der vorliegenden Studie aber von den Autoren adressiert und Hocheinkommensländer getrennt von Ländern mit mittlerem oder geringem Einkommen (gemäß Definition der Weltbank) ausgewertet. Hier zeigte sich in den Hocheinkommensländern ein größerer Effekt (RR 0,76, 95%-KI: 0,55-1,04) als in den anderen Ländern mit einem RR von 0,92 (95%-KI: 0,81-1,04).

Was bedeuten diese Ergebnisse für die Praxis?

Erneut konnte eine hervorragend durchgeführte Studie mit enormer Bedeutung für die Notfallmedizin veröffentlicht werden. Soll also jetzt jeder SHT-Patient bereits prähospital mit TXA versorgt werden? Wenn man nur die Schlussfolgerung im Abstract durchliest und die Infografiken der Studiengruppe anschaut, wohl ja?

  • Wie in den zwei großen vorhergehenden Studien (CRASH-2 und WOMAN) zeigt sich eine scheinbar hohe Sicherheit der TXA-Gabe ohne relevante Risiken. Allerdings ist die Rate von weniger als 1% thromboembolischen Ereignissen, die in dieser Studie berichtet werden, extrem gering. In anderen Studien kann dagegen durchaus ein erhöhtes Risiko von Thromboembolien nach TXA-Gabe nachgewiesen werden.

Myers SP et al.

Tranexamic acid administration is associated with an increased risk of posttraumatic venous thromboembolism.

J Trauma 2019; 86:20-7.

 

Meizoso JP et al.

Tranexamic acid administration is associated with an increased risk of posttraumatic venous thromboembolism.

J Trauma 2018; 84:426-32.

 

Johnston LR et al.

Evaluation of Military Use of Tranexamic Acid and Associated Thromboembolic Events.

JAMA Surg 2018; 153:169-75.

 

  • durch die frühzeitige TXA-Gabe (<3 Stunden nach dem Trauma) kann das relative Risiko auf den Faktor 0,94 gesenkt werden, das 95%-Konfidenzintervall überquert mit 0,86-1,02 aber die 1,0, so dass rein statistisch gesehen nicht von einem Effekt ausgegangen werden kann
  • auf die Gesamtsterblichkeit hatte die TXA-Gabe keinen Einfluss, die Ergebnisse der CRASH-3-Studie beziehen sich (im Unterschied zu CRASH-2) nur auf die SHT-bedingte Sterblichkeit. Daher ist die Aussage „1 von 5 Patienten mit leichtem oder mittelschwerem SHT könnte durch TXA das Leben gerettet werden“ schlichtweg falsch.
  • ein statistisch signifikanter Effekt fand sich nur in der Subgruppe der Patienten mit leichtem und mittelschwerem SHT (GCS 9-15), die allerdings in der Studie eine überraschend hohe SHT-bedingte Sterblichkeit von 5,8 bzw. 7,5% hatten. Das war aber eine Subgruppe von Patienten, für die die Studie nicht ausgelegt war und die nicht vordefiniert war.
  • ein weiterer Kritikpunkt, der vielen Statistikern die Tränen in die Augen treiben wird, ist, dass das Studienprotokoll und der primäre Endpunkt der Studie im Nachhinein geändert wurde.
  • Auch die Aussage, dass 20 min Verzögerung der TXA-Gabe die Effektivität um 10% reduziert, ist nicht korrekt. Die TXA-Gabe fand in der CRASH-3-Studie ausschließlich innerklinisch statt. Vielleicht sind die Patienten, die TXA verzögert bekamen, einfach häufiger SHT-bedingt gestorben, weil sie später in der Klinik waren und daher auch später operativ versorgt wurden?

Die Fragen, ob TXA bereits prähospital beim Schädel-Hirn-Trauma TXA eingesetzt werden soll, kann also anhand von CRASH-3 nicht beantwortet werden. Folgende Hinweise lassen sich aus der Studie ziehen:

  • beim leichten SHT (GCS 13-15): Nein! Für diese Patienten liefert CRASH-3 keine Daten. Im Rahmen der Studie erhielten diese Patienten nur TXA, wenn im CT eine Blutung nachgewiesen werden konnte.
  • beim schweren SHT (GCS <9): entsprechend der Studie nutzt TXA hier weder, noch schadet es.
  • bei mittelschwerem SHT (GCS 9-12): hier könnte ein Nutzen vorliegen, dies wird allerdings durch die CRASH-3 nicht klar beantwortet und müsste weiter untersucht werden.

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