Doppelte hält besser: Plättchen-Hemmung bei „STEMI“ schon prähospital?

Ein Beitrag von PD Dr. Jürgen Knapp, Bern/Schweiz:

Eine sehr beliebte Diskussion in der Notfallmedizin ist der Nutzen der doppelten Plättchen-Hemmung bei Patienten mit „ST-Hebungsinfarkt“ (besser eigentlich okklusiver Myokardinfarkt, OMI) bereits im prähospitalen Bereich. Lohnt sich das Mitführen des Clopidogrel (Plavix®) früher bzw. inzwischen meist Ticagrelor (Brilique®)?

Bisher existierte nur die ATLANTIC-Studie zu diesem Thema, die keinen signifikanten Vorteil für die prähospitale Gabe von P2Y12-Rezeptor-Antagonisten gezeigt hat. Allerdings war in dieser Studie die Zeit vom „first medical contact“ bis zum Beginn der Katheterintervention mit 31 min sehr kurz, so dass die Ergebnisse nur begrenzt auf unseren prähospitalen Einsatzbereich übertragbar sind (im ländlichen Bereich sind diese Zeiten meist deutlich länger).

Nun wurde im European Heart Journal eine weitere Studie zu diesem Thema veröffentlicht, die mit einer Zeit vom „first medical contact“ bis zur Katheterintervention von im Median 75 bzw. 68 min (in der Kontrollgruppe) den Verhältnissen in unserem ländlichen Einsatzbereich deutlich näher kommt.

Redfords B et al. Pretreatment with P2Y12receptor antagonists in ST-elevation myocardial infarction: a report from the Swedish Coronary Angiography and Angioplasty Registry. Eur Heart J 2019; 40:1202-10

 Studiendesign:

  • Registerstudie aus Schweden
  • Untersuchungszeitraum: 2005-2016
  • Stratifikation nach Vorbehandlung mit einem P2Y12-Rezeptor-Antagonisten (Ticagrelor, Clopidogrel oder Prasugrel) zum Zeitpunkt des „first medical contact“ außerhalb des Katheterlabors (also prähospital oder in der Notaufnahme) vs. keine Vorbehandlung (hierzu zählte auch die Gabe des Plättchenhemmers erst im Katheterlabor.
  • Ausgeschlossen waren nur Patienten, die – aus welchem Grund auch immer – nicht mit ASS vorbehandelt oder die statt einer PCI einer Lyse-Therapie unterzogen wurden.
  • n=37.840 in der vorbehandelten Gruppe vs. n=6.964 in der nicht-vorbehandelten Gruppe
  • Primärer Endpunkt: 30-Tage-Sterblichkeit
  • Sekundäre Endpunkte: kardiogener Schock, 30-Tage-Stentthrombose, Blutungskomplikationen, neurologische Komplikationen, Verschluss des Infarktgefäßes

Ergebnisse:

  • 58% der Patienten wurden mit Clopidogrel als zweiter Plättchenhemmer vorbehandelt, 35% mit Ticagrelor und 5% mit Prasugrel
  • die Sterblichkeit insgesamt nach 30 Tagen betrug 5,6% und die Rate an Stentthrombosen 0,6%
  • Die 30-Tage-Sterblichkeit in der vorbehandelten Gruppe betrug 5,2%, in der nicht vorbehandelten Gruppe 7,6%, was ein odds ratio von 1,08 entspricht mit einem 95%-Konfidenzintervall von 0,95-1,24, p=0,313.
  • Auch in den sekundären Endpunkten zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Insbesondere die Blutungskomplikationen waren mit 2,6% in der vorbehandelten Gruppe nicht häufiger als in der nicht vorbehandelten Gruppe mit 3,4%.

Fazit für die Praxis:

  • Die bereits prähospitale Gabe des zweiten Plättchenhemmers bei OMI-Patienten ist zwar sicher, scheint aber den Patienten keinen relevanten Vorteil zu bringen.
  • Die Ergebnisse der ATLANTIC-Studie wurden also für längere Prähospitalzeiten bestätigt.
  • Wie mit der Gabe der doppelten Thrombozyten-Hemmung bei sehr langen Transportwegen bis zum Katheterlabor zu verfahren ist (Zeit vom „first medical contact“ bis zur PCI >75 min, z.B. im alpinen Raum), beantwortet die Studie nicht. Hier könnte der Nutzen eventuell doch noch zum Tragen kommen.

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