Dyspnoe (Luftnot) beschäftigt uns sektorenübergreifend und ist eines der häufigsten klinischen Leitsymptome in der Notfallmedizin. Hauswaldt und Blaschke aus Göttingen haben eine sehr schöne Übersichtsarbeit hierzu publiziert:
Hauswaldt J, Blaschke S. Dyspnoe. Internist 2017; DOI 10.1007/s00108-017-0276-2
- Leitsymptom Dyspnoe („Lufthunger“, „Enge- oder Erstickungsgefühl“, „Beklemmung“ und „erschwertes Atmen“ ) weist einen subjektiven Charakters auf
- definiert als „subjektive unangenehme Wahrnehmung des Atmens, die aus qualitativen Empfindungen unterschiedlicher Intensitäten“
- multidimensionales Modell der Entstehung von Dyspnoe:
- physiologischen Faktoren mit afferenter Signale der Chemorezeptoren für pH, CO2 und O2 sowie der Mechanorezeptoren in Lungenparenchym und Gefäßen psychologische Faktoren (affektiv: Grad der Missempfindung; emotional: Angst, Depression),
- soziale Faktoren (Trainings- und Ernährungszustand) und
- äußere Faktoren (z. B. Medikamente)
- Differenzialdiagnose: unterschiedlichste Krankheitsbilder (v.a. kardiologische und pulmonologische Erkrankungen
Merke: Ziel: primär akut lebensbedrohliche von chronischen Verläufen erkennen und differenzieren.
Wie häufig ist Dyspnoe eigentlich ?
(Epidemiologie/Prävalenz)
- im allgemeinmedizinischen Sektor: 1–4% der Patienten weisen Dyspnoe als Vorstellungsgrund auf, respiratorische Symptome in deutschen allgemeinmedizinischen Praxen: 25%
- in Facharztpraxen der Kardiologie und Pulmonologie: chronische Dyspnoe 15–60%
- Rettungsdiensteinsätze: etwa 12% mit Leitsymptom Dyspnoe, davon werden rund 50% später in der Klinik stationäre aufgenommen, hierbei Krankenhausmortalität: ca. 10%
- in Notaufnahmen deutscher Krankenhäuser: Dyspnoe 7,4% und damit Top 10 der Leitsymptome mit denen sich Patienten in die Notaufnahmen vorstellen
Klassifiziere die Beschwerden:
- Zeitliches Auftreten:
- Akut vs. chronisch (Dauer >4Wochen)
- Intermittierend vs. permanent
- Episodisch (Dyspnoeattacken)
- Situativ (Umstände des Auftretens):
- in Ruhe vs. bei körperlicher Anstrengung vs. bei psychischer Belastung vs. in bestimmten Körperpositionen vs. abhängig von besonderer Exposition (z. B. Allergen)
- Kausal (pathogenetische Ursache):
- pulmonale Erkrankungen
- kardiovaskuläre Erkrankungen
- andere Erkrankungen: hämatologisch (Anämie), endokrinologisch (Hyperthyreose), psychisch u. a.
- Kombinierte pulmonale/kardiovaskuläre Erkrankungen (Komorbidität)
Führe eine Schweregradeinschätzung durch:
- Messung der Atemfrequenz
- Medical Research Council (MRC) Scale mit 5 Stufen
- Grad 1: nur Luftnot bei sehr intensiver Belastung
- bis Grad 5: „Ich habe zu viel Luftnot, um das Haus zu verlassen“
- Likert-Skala (1: keine Kurzatmigkeit bis 5: schwere Kurzatmigkeit)
- 100-mm-VAS
- Borg-Skala: 12-stufigen VAS zur Selbsteinschätzung der subjektiven Belastung von „kaum wahrnehmbarer“ Beeinträchtigung bis „höchstgradiger“ Einschränkung
- Baseline Dyspnea Index (BDI)
- Transition Dyspnea Index (TDI)
- Multidimensional Dyspnea Profile (MDP)
- New-York-Heart-Association(NYHA)-Klassifikation der chronischen Herzinsuffizienz
Denke an die Differenzialdiagnosen der Dyspnoe:
- Asthma bronchiale
- chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD)
- Atemwegsinfektionen (inkl. akute Bronchitis, Pneumonie)
- Pleuraergüsse
- interstitielle Lungenerkrankungen
- Bronchialkarzinome und andere Malignome
- chronische oder akute Herzinsuffizienz
- valvuläre Erkrankungen
- koronare Herzkrankheit
- akute Lungenarterienembolie
- Hämatologische Erkrankungen: Anämie
- endokrinologische Störungen: Hyperthyreose, diabetische Ketoazidose
- Neuromuskuläre Störungen: Polyneuritis (Guillain-Barré-Syndrom), Myopathien
- Medikamente: z.B. Amiodaron, Methotrexat, Ticagrelor
- berufliche Noxen
- psychische Erkrankungen: z.B. Angststörungen, Panikstörungen, Depressionen
Merke: Patienten mit akuter Dyspnoe haben ein deutlich erhöhtes Mortalitätsrisiko
Differentialdiagnosen der „Akute Dyspnoe“:
- plötzlich auftretende Luftnot
- häufig bedrohlich wahrgenommen
- emotionale Stressreaktionen mit Angst und Panik
- Ursachen:
- akutes Asthma bronchiale
- Exazerbation einer COPD
- anaphylaktische Reaktionen
- Aspiration
- akutes Koronarsyndrom
- Tachyarrhythmien
- akute Herzinsuffizienz
- Lungenödem
- hypertensive Krisen
- Lungenembolie
Differentialdiagnosen der „Chronischen Dyspnoe“:
- in der Regel > 4 Wochen
- 80–90% haben pulmonale und kardiovaskuläre Ursachen
- Ursachen:
- Asthma bronchiale
- COPD
- interstitielle Lungenerkrankungen
- chronische Herzinsuffizienz
- Anämien
- onkologische Erkrankungen
- psychische Erkrankungen
- kombinierte Erkrankungen (Multimorbidität)
Was sind Einweisungsgründe in die Notaufnahme?
- Patienten mit Luftnot und klinische Zeichen der vitalen Gefährdung,
- pathologische Vitalzeichen
- Vigilanzminderung
Ziel ist der „abwendbar gefährliche Verlauf“: „gesundheitsgefährdender oder lebensbedrohlicher Erkrankungsverlauf, der bei Befragung, Untersuchung und Betreuung des Patienten durch sachgemäßes Eingreifen des Arztes in gewissemUmfang oder gänzlich abwendbar ist. Auf dieser Versorgungsebene diagnostisch zu bedenken sind“
- häufige, leichte Gesundheitsstörungen,
- atypisch beginnende oder verlaufende Erkrankungen sowie
- seltene, jedoch folgenschwere Krankheiten.
Welche Vorgehen und welche Diagnostik in der Notaufnahme?
- Durchführung der strukturierten Ersteinschätzung des Notfallpatienten mit Erhebung des Leitsymptoms und Einschätzung der Behandlungsdringlichkeit
- Vitalparameter gemessen
- Anamneseerhebung mit Schweregradeinschätzung, Differenzialdiagnose beachten
- sorgfältige klinische Untersuchung
- 12-Kanal-EKG (ggf. wiederholt)
- Arrhythmien
- Rechtsherzbelastungszeichen
- Ischämiezeichen
- Laboruntersuchung:
- arterielle oder venöse Blutgasanalyse
- Blutbild, CRP und Nierenretentionswerte
- ggf. hochsensitive Troponin, natriuretische Peptid, D-Dimere
- ggf. Verlaufskontrolle des Troponin
- Röntgenuntersuchung des Thorax:
- Pneumonie
- Lungenödem
- Pneumothorax
- ggf. Echokardiographie, wenn indiziert:
- Rechtsherzbelastungszeichen
- Perikarderguss
- Klappenvitien
- ggf. Sonographie des Thoraxraums, wenn indiziert:
- Pleuraerguss
- ggf. Computertomographie (CTA), wenn indiziert:
- Lungenembolie
- Aortendissektion
Planung des weiteren Procedere:
- ambulante Entlassung vs. Normalstation vs. IMC/ICU
- Risikoscores nutzen