Sepsis 3.0 – Kritische Stimmen

Wie bereits schein ein paar Mal auf news-papers.eu berichtet, wird die neue Definition der Sepsis in Expertenkreisen kritisch diskutiert:

Definition der Sepsis – Teil 1
Definition der Sepsis – Teil 2
Diskussion Sepsis
Mnemonic LUCCAASS
Sepsisempfehlungen Teil 1
Sepsisempfehlungen Teil 2

Dabei ist die Sepsis aber eine Erkrankung mit sehr hoher Letalität und einem komplexen Krankheitsgeschehen. Das Erkennen und die initiale und weiterführende Therapie ist nicht immer einfach.

In Notfall Rettungsmedizin ist nun eine Beitragsserie erschienen, die absolut lesenswert ist:

Leidel BA (2017) Die neue Sepsis-3-Definition. Flop oder top? Notfall Rettungsmed. doi:10. 1007/s10049-017-0292-8

Gerlach H (2017) Die neue „Sepsis-3“-Definition. Ein mutiger Ansatz! Notfall Rettungsmed. doi:10.1007/s10049-017- 0311-9

Christ M et al. Sepsis 3.0 kritisch beleuchtet Never (abruptly) change a running system. Notfall Rettungsmed 2017; DOI 10.1007/s10049-017-0290-x


Im Folgendem soll auf den Artikel von Prof. Michael Christ aus Luzern und Kollegen eingegangen werden:

  • Sepsis macht etwa ein Drittel bis zur Hälfte aller innenklinischen Todesfälle aus
  • 2007 bis 2013 Zunahme der Sepsisfälle von 256 auf 335 Fälle pro 100.000 Einwohner
  • Krankenhaussterblichkeit von Sepsis im gleichen Zeitraum von 27 auf 24,3% gesunken
  • Rang 3 der häufigsten Todesursachen in Deutschland
  • Sepsis ist ein sehr dynamisches Krankheitsbild
  •  ohne adäquate Therapie versterben 40% der Betroffenen im septischen Schock
  • seit 2016 wird nun das Screening mittels qSOFA empfohlen

Christ et al. führen aus, dass die Weiterentwicklung der oben beschriebenen Definition (SEPSIS-3) bzw. in der Risikostratifizierung das SIRS-Konzept abgelöst und dessen Limitationen (geringe Spezifität) in der klinischen Praxis eliminiert werden sollen. Hauptpunkt der Kritiker ist dabei, dass die sofortige und breite Anwendung dieser Definition Patientenleben gefährden könnte.

  • Diagnosenstellung ist ein kognitiver Prozess
  • SEPSIS-3 trifft dabei eine Risikoabschätzung anhand der Sterblichkeit bzw. die Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Therapie bei den betroffenen Patienten
  • es wird aber darauf hingewiesen, dass in der der SEPSIS-3 Definition zugrundeliegenden retrospektiven Registeranalyse die Diagnose SEPSIS bereits gestellt war (und eine Validierung erst mit diesen Daten nachfolgend erfolgte)
  • als Vergleich wird die AUC (Area under the curve) der SEPSIS-3 mit 0,81, der der SIRS-Kriteien mit 0,76 mit der von hsTroponin beim Myokardinfarkt von 0,95 verglichen
  • die Diagnose Sepsis muss trotz SEPSIS-3 weiterhin der kognitiven Arbeit des behandelnden Teams überlassen werden, unter Einbeziehung des klinischen Zustandes, der Vitalwerte, der Laborparameter und der Krankheitsdynamik; alles Punkte, die SEPSIS-3 nicht vollumfänglich berücksichtigt
  • Verschlechterung des SOFA um 2 Punkte ist mit einer Letalität von 10% assoziiert, dies aber aus der Sichtweise von Intensivmediziner (SEPSIS-3 wurde überwiegend durch Intensivmediziner publiziert)
  • wichtig ist aber erst einmal die Diagnose SEPSIS zu stellen und dies ist auch unter Berücksichtigung von SEPSIS-3 weiterhin massiv erschwert und Fehleinschätzungen sind jederzeit möglich, ein hohes Sicherheitspotential besteht daher vor dem Hintergrund der Dynamik bei SEPSIS-3 mitnichten
  • Schwerkranke werden durch SEPSIS-3 zwar erkannt, aber ob alle Sepsispatienten adäquat erfasst werden, ist fraglich und damit auch der Nutzen als Screeninginstrument im Notarzdienst und Notaufnahme

Christ et al. nutzen hier eine sehr schöne Analogie: „Ist das Kind in den Brunnen gefallen“, ist der Aufwand, es zu retten, viel höher als der Aufwand, den es benötigt, um den Sturz zu vermeiden.

  • Viele Patienten, auch mit einer Organdysfunktion werden initial nicht auf eine Intensivstation verlegt (Anm: möglicherweise auch vor dem Hintergrund fehlende Kapazitäten?)
  • auf einer Intensivstation oder Intermediate Care Unit versorgten Patienten weisen aber eine im Vergleich zur Normalstation niedrigere Letalität bei gleicher Krankheitsschwere auf (Ausmass des Monitorings, intensiverer Personaleinsatz etc.)
  • SOFA wird heute (noch) selten angewendet, und wenn, dann meist auf hochspezialisierten Einheiten
  • häufige wird „Infektion und positive SIRS-Kritierien“ verwendet
  • gefordert wird eine externe Validierung anhand von prospektiven Evaluationsstudien
  • die Einführung der neuen Definition (SEPSIS-3) muss dringend begleitend evaluiert werden, um nicht nur einen theoretischen Vorteil zu konstruieren, sondern diesen auch effektiv nachzuweisen
  • verhindert werden muss eine Frustration der Behandler bei negativen Feedbackmechanismen

Schlussfolgerung: Christ und Kollegen fassen in ihrem Artikel damit sehr gut die aktuellen Sorgen von Notfallmediziner rund um den Globus zu diesem Thema zusammen, und verliehen ihrer Sorge Ausdruck, dass Sepsispatienten nicht rasch genug erkannt werden und ggf. Verzögerungen in der Initialtherapie auftreten. 


Bleiben Sie was dieses Thema angeht am Ball, hier wird es in der nächsten Zeit absolut spannend weitergehen!


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