Länger und dicker ist doch besser

Im Zuge der Vorbereitungen auf mögliche Terroranschläge mit einem erhöhten Risiko für penetrierende Verletzungen werden vielerorts die Ausstattungen der Rettungsmittel ergänzt. Neben einem Schwerpunkt im Bereich der Blutstillung (Tourniquet, Hämostyptika und moderne Verbandmittel) wird ein besonderes Augenmerk auf die Entlastung des Spannungspneumothorax gelegt. Dies begründet sich in der Arbeit von Bellamy, der schon 1984 zeigen konnte, dass die vermeidbaren Todesfälle nach Kampfhandlungen vor allem durch Blutverlust, aber in etwa 5 % durch einen Spannungspneumothorax begründet sind.

Für den zivilen Sektor beschreiben Kleber und Buschmann am Beispiel Berlins ebenfalls Hämorrhagie und den Spannungspneumothorax als Ursachen für vermeidbare Todesfälle nach Trauma.

Bellamy RF (1984). The causes of death in conventional land warfare: implications for combat casualty care research. Military Medicine, 149(2), 55–62

Kleber C, Giesecke MT, Tsokos M, Haas NP, Buschmann CT (2013). Trauma-related preventable deaths in Berlin 2010: need to change prehospital management strategies and trauma management education. World Journal of Surgery, 37(5), 1154–1161

Nun wird für die notfällige Entlastung des Spannungspneumothorax vielfach die Nadel-Dekompression propagiert. Auch die S3-Leitlinie Polytrauma/Schwerverletztenversorgung beschreibt diese Technik.

Dazu gilt es allerdings einige Punkte zu beachten:

Die üblichen Venenverweilkanülen (14G) haben eine Länge von 4,5-5 cm. Dies reicht vielfach nicht aus, um bei kräftigen oder adipösen Patienten den Pleuraraum zu erreichen. Matthias Hecker und Kollegen haben an MRTs von über 2500 Patienten die Dicke der Brustwand (CWT = chest wall thickness) am für die Nadeldekompression empfohlenen Monaldi-Punkt gemessen. Der Mittelwert lag bei 5,1 (+/ 1,4). Eine Venenverweilkanüle hätte somit in vielen Fällen nicht ausgereicht, um den Pleuraraum zu punktieren. Ähnliches bestätigt die Arbeitsgruppe um Jonathan Aho, die den Erfolg der Nadeldekompression nach Einführung einer 8 cm langen Angiocath-Nadel mit dem der vorher verwendeten 5 cm langen Venenverweilkanülen verglichen. Der Unterschied war signifikant: 83% vs. 41%.

Hecker M, Hegenscheid K, Völzke H, Hinz P, Lange J, Ekkernkamp A, Frank M (2016). Needle decompression of tension pneumothorax. Journal of Trauma and Acute Care Surgery, 80(1), 119–124

Aho JM, Thiels CA, Khatib El MM, Ubl DS, Laan DV, Berns KS et al. (2016). Needle thoracostomy. Journal of Trauma and Acute Care Surgery, 80(2), 272–277

Ein weiterer Aspekt ist das Risiko, dass die Kanüle abknicken könnte. Dazu wird fälschlicherweise empfohlen den Ansatz der Kanüle durch eine darüber gestülpte Pflasterrolle zu schützen. Allerdings knickt die Kanüle nicht an der Hautoberfläche, sondern durch die Atemverschieblichkeit der Muskulatur in der Brustwand. Entsprechend sollte die Stahlnadel nur ein kleines Stück zurückgezogen, nicht aber entfernt werden, um die Kanüle zu armieren.

Im Hollywood-Film „Three Kings“ wird die Entlastungskanüle mit einem 3-Wege-Hahn versehen, um bei zunehmenden Spannungspneumothorax jederzeit durch Öffnen des Hahns wieder entlasten zu können. Auch das ist fern der Realität. In der S3-Leitlinie wird ausdrücklich betont, dass die Entlastungspunktion eine Notfallmaßnahme ist, welcher zeitnah die Anlage einer Thoraxdrainage folgen muss. Das Verbleiben der (im Vergleich zur Thoraxdrainage) kleinlumigen Kanüle, vermittelt allenfalls falsche Sicherheit, während sie bereits abgeknickt oder durch koaguliertes Blut verstopft ist.

Fazit:

Es sollten also ausschließlich spezielle Kanülen mit einer Länge von mindestens 8 cm für die Nadeldekompression vorgehalten werden.

Die Stahlnadel sollte nur ein kleines Stück zurückgezogen werden und für die Dauer der Anwendung zur Armierung in der Kanüle verbleiben.

Die Nadeldekompression stellt nur eine vorübergehende Notfallmaßnahme da, der zeitnah die Anlage einer wesentlich großlumigeren (dickeren) Thoraxdrainage folgen muss.

3 thoughts on “Länger und dicker ist doch besser

  1. Wichtig ist auch zu beachten, dass die Bülauposition für eine 14G Nadel besser geeignet ist, da dort weniger Gewebe vorhanden ist als in Monaldiposition, man deswegen dort besser mit einer ungeeigneten Nadel entlasten kann.

  2. Wir nehmen zum Spannungspneu-Entlastung die Russell Pneumofix 12G mit 11cm länge.
    Sie hat den Vorteil das sie zum ersten ein stabilen Mandrin hat (vorher hatten wir die Tytek TPAK 14G mit ca. 8cm länge hier ist der Mandrin sehr instabil) und zum zweite gib sie ein „akustisches Feedback“ bei eindringen in ein Hohlraum wieder.
    https://www.youtube.com/watch?v=P7prgN5eK24
    PS: wir bevorzugen Monaldi im (NFS) Rettungsdienst zumal wie den Oberkörper noch etwas hochlagern. Was anders dürfen wir als NFS auch nicht…

    LG. aus Riesa

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