Auflösung des EKG-Quiz vom 06.04.2016

Wie Sie bereits richtig erkannt haben, handelt es sich um eine regelmäßige Schmalkomplextachykardie. Die Differenzierung in „rhythmisch“ und „arrhythmisch“ ist für das weitere Vorgehen von entscheidender Bedeutung! Bei einer absoluten Arrhythmie (sprich: völlig unregelmäßig) handelt es sich um ein Vorhofflimmern und ist neben einer Antikoagulation (sofern indiziert) zunächst nur einer frequenzlimitierenden Medikation zuzuführen. Dafür eignen sich Ca-Antagonisten vom Nicht-Dihydropyridintyp (Verapamil, Diltiazem) oder Betablocker.

Tachykardie

Die hier gezeigte Tachykardie ist jedoch rhythmisch und bedarf weiterer differentialdiagnostischer Überlegungen. Bei schmalen Kammerkomplexen ist eine ventrikuläre Tachykardie ausgeschlossen, so dass von einer nicht primär bedrohlichen Rhythmusstörung ausgegangen werden kann. Bei Patienten mit eingeschränkter linksventrikulärer Pumpfunktion oder bereits lang anhaltender supraventrikulärer Tachykardie (SVT) können jedoch auch diese zu einer kardialen Dekompensation führen.

Bei hämodynamisch instabilen Patienten ist somit, analog zu den ventrikulären Tachykardien, eine externe elektrische Kardioversion angezeigt.

In unserem Beispiel handelt es sich um einen jungen männlichen Patienten, der hämodynamisch stabil ist. Dies erlaubt es, zunächst beruhigend auf den Patienten einzuwirken und ihn über die Ungefährlichkeit der Rhythmusstörung aufzuklären. Die Wirksamkeit nachfolgender vagaler Manöver wird durch die vorherige „Beruhigung“ der Patienten deutlich gesteigert. Vagale Manöver sollen durch Aktivierung des Parasympathikus eine Leitungsverzögerung und/oder Verlängerung der Refraktärzeit des Erregungsleitungssystems herbeiführen (s. auch diesen Blogbeitrag). Bei sehr aufgeregten und sympathikoton aktivierten Patienten ziehen selbst die besten vagalen Manöver keinen klinischen Effekt nach sich.

Jedweder Versuch der Terminierung oder Demaskierung der Tachykardie sollte unter laufender EKG-Registrierung erfolgen. Differentialdiagnostisch kommen neben atrialen Rhythmusstörungen (Vorhofflattern, atriale Re-Entry-Tachykardien, fokale atriale Tachykardien) auch sog. atrio-ventrikuläre Reentry-Tachykardien (AVRT) in Frage. Zu den weitaus häufigsten AVRTs gehören die AV-Knoten-Reentry-Tachykardie (AVNRT) und das Wolff-Parkinson-White-Syndrom (WPW-Syndrom). Zur Differenzierung der Rhythmusstörung im Rahmen der Terminierung oder Demaskierung ist das EKG unabdingbar.

Während atriale Tachykardien häufiger bei Patienten höheren Alters und im Rahmen bereits bestehender kardialer Erkrankungen vorkommen, sind bei AVRTs in der Regel junge Patienten ohne bekannte Herzerkrankung betroffen.

Mittel der ersten Wahl zur Terminierung der Rhythmusstörung stellen vagale Manöver dar. Dabei können neben dem Valsalva-Pressversuch mit ggf. „passive leg raise“ (hier), die Karotissinusmassage, das Trinken (eis)kalten Wassers, Erschrecken etc. zum Einsatz kommen. Wenn diese nicht zu einer Terminierung oder zumindest zum Ausfall einiger QRS-Komplexe führen (sog. „Demaskierung“, da dann die Vorhoferregungen gesehen werden können), kann Adenosin zum Einsatz kommen. Adenosin verbietet sich bei Asthma-Patienten und sollte trotz der sehr geringen Nebenwirkungs- und Komplikationsrate nur unter Reanimationsbereitschaft angewandt werden. Adenosin hat eine kurze Halbwertszeit von nur wenigen Sekunden, so dass die Injektion im Unterschied zu sonstigen intravenösen Applikationen „im Schuss“ erfolgen muss. Erfahrungsgemäß sind bei peripheren Zugängen und erwachsenen Patienten Dosierungen unter 10 mg Adenosin meist unwirksam. Das für einige Sekunden anhaltende Gefühl der Atemnot wird von den Patienten jedoch trotzdem beschrieben. Bei regelrechter Anwendung (schnell spritzen und nachspülen) und ausreichender Dosis (ggf. aufsteigend 10-15-20mg) tritt ein temporärer AV-Block mit konsekutiver, für wenige Sekunden anhaltende, Asystolie ein. Der plötzliche Frequenzabfall wird von den Patienten meist als Schwindel und / oder Dyspnoe bemerkt. Über eine vorherige Aufklärung dieses zu erwartenden Effektes sind die Betroffenen überaus dankbar. Ist die Rhythmusstörung dann beendet, handelt es sich in der Regel um eine AVRT. Kehrt die Tachykardie nach wenigen Sekunden wieder zurück, liegt in der Regel eine atriale Tachykardie vor, deren Differenzierung meist aus dem registrierten EKG gelingt.

Kommen wir nun aber zurück zum oben gezeigten EKG. Bei einem jungen Patienten mit regelmäßiger Schmalkomplextachykardie liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit eine AVRT zu Grunde. Ob es sich dabei um eine AV-Knoten-Reentry-Tachykardie oder eine WPW-Tachykardie handelt, ist aus diesem Anfalls-EKG nicht sicher abzuleiten.


Zur Pathophysiologie:

Für eine AVNRT sind zwei Leitungsbahnen innerhalb des AV-Knotens notwendig (sog. „duale Leitungskapazität“). Die „schnelle Leitungsbahn“ leitet recht schnell, hat jedoch eine lange Refraktärzeit (braucht also verhältnismäßig lang, um sich zu erholen). Die „langsame Leitungsbahn“ leitet zwar recht langsam, hat hingegen eine sehr kurze Refraktärzeit. Unter physiologischen Bedingungen (Sinusrhythmus) wird die schnelle Leitungsbahn zur atrioventrikulären Leitung benutzt. Die Erregung, welche über die langsame Leitungsbahn Richtung Ventrikel geleitet wird, trifft irgendwann auf bereits erregtes, und damit refraktäres, Gewebe und endet dort (Abb. 1).

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Abb.1: Normale Erregungsleitung

Kommt es nun zu einer Extrasystole aus den Vorhöfen, kann die schnelle Leitungsbahn die vorzeitig einfallende Erregung nicht leiten, da sie immer noch refraktär ist. Somit nimmt die langsame Leitungsbahn die Erregung auf und leitet diese Richtung Ventrikel. Die langsame Leitungsbahn ist dabei so langsam, dass sich die schnelle Leitungsbahn in der Zwischenzeit erholt hat. Die Erregung ist aber nunmehr am HIS-Bündel angekommen, so dass die schnelle Leitungsbahn retrograd in Richtung der Vorhöfe leitet. Wieder oben angekommen (in den Vorhöfen) wird die Erregung von der langsamen Leitungsbahn aufgenommen und Richtung Kammern geleitet usw. (Abb.2 und 3).

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Abb.2. AVNRT Reentry

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Diese Form der AVNRT wird als „slow-fast“-AVNRT (da „slow“ Richtung Ventrikel und „fast“ Richtung Vorhöfe) bezeichnet und stellt 94% aller AV-Knoten-Reentry-Tachykardien dar.


Wolff-Parkinson-White-Syndrom

Bei einem Wolff-Parkinson-White-Syndrom ist eine zusätzliche (akzessorische) Leitungsbahn, das sog. „Kent-Bündel“, anzutreffen. Dieses Kent-Bündel leitet außerhalb des AV-Knotens die Erregung von den Vorhöfen auf die Kammern und führt bei einem Sinusrhythmus zu einer Präexzitation. Dabei sind die Lage des Bündels sowie die Leitungseigenschaften des AV-Knotens und der akzessorischen Bahn für das Ausmaß der Präexzitation entscheidend (Abb.4)

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Abb.4: WPW Präexitation

Die typischen vier Zeichen eines sog. „offenen WPW-Syndroms“ (das Kent-Bündel leitet antegrad von Vorhof auf Kammer) bestehen aus

  1. kurzer PQ-Zeit
  2. sichtbarer Delta-Welle mit trägem Anstieg des QRS-Komplexes
  3. verbreiterter QRS-Komplex über 120ms
  4. sekundäre Erregungsrückbildungsstörungen

und sind nur außerhalb der Reentry-Tachykardien sichtbar. Sollte das Kent-Bündel nicht antegrad leiten, wird von einem sog. „verborgenen WPW-Syndrom“ gesprochen.

Auch hier ist der Initiierungsmechanismus an eine Extrasystole gekoppelt: diese vorzeitige Erregung trifft auf das Kent-Bündel, welches noch refraktär ist. Der AV-Knoten nimmt die Erregung auf, verzögert diese und leitet anschließend auf die Ventrikel über. Inzwischen hat sich die akzessorische Bahn erholt, die wiederum die Erregung retrograd in die Vorhöfe leitet. Von dort aus geht es wieder vorwärts über den AV-Knoten in die Ventrikel. Diese als „orthodrome Tachykardie“ bezeichnete Form stellt 95% aller WPW-Tachykardien dar (Abb.5).

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Abb.5: WPW Reentry

Die Unterscheidung in slow-fast AVNRT oder orthodrome WPW-Tachykardie ist im Rahmen der Akut-Situation nicht einfach und auch nicht notwendig, da die Initialtherapie identisch ist. Bei einem bekannten WPW-Syndrom kann alternativ zum Adenosin auch Ajmalin gewählt werden. Die Gabe von Amiodaron sollte möglichst vermieden werden, da zum einen damit die Terminierung selten gelingt und zum anderen die lange Halbwertszeit dieses Medikamentes eine nachfolgende elektrophysiologische Untersuchung empfindlich beeinflussen kann.

Nach der Terminierung der Tachykardie kann bei Vorhandensein von Delta-Wellen von einem offenen WPW-Syndrom ausgegangen werden. Sind keine Delta-Wellen sichtbar, handelt es sich um eine AVNRT oder ein verborgenes WPW-Syndrom. Alle Formen sind einer elektrophysiologischen Untersuchung und Ablationstherapie zugänglich, welche den Patienten spätestens bei Rezidiven oder limitierender Symptomatik angeboten werden sollte.


Dieser Beitrag und auch die Abbildungen stammen von Martin Neef, Abteilung für Kardiologie und Angiologie des Universitätsklinikums Leipzig.


Notfallmedizinup2dateLesen Sie von Martin Neef in der aktuellen Ausgabe von Notfallmedizin up2date den Beitrag „Das 12-Kanal-EKG“ in der Rubrik „Schritt-für-Schritt“.

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