Ein Beitrag von PD Dr. Jürgen Knapp, Bern/Schweiz:
Knapp ein Jahr nach den Ergebnissen von CRASH-3 wurden nun am 8. September die Ergebnisse einer weiteren großen randomisierten Studie zum Nutzen der Gabe von Tranexamsäure (TXA) bei Schädel-Hirn-Trauma (SHT) veröffentlicht.
Rowell SE et al. Effect of Out-of-Hospital Tranexamic Acid vs Placebo on 6-Month Functional Neurologic Outcomes in Patients With Moderate or Severe Traumatic Brain Injury. JAMA 2020; 324:961-74; doi:10.1001/jama.2020.8958
Die Studie kurz zusammengefasst:
- prospektive, randomisierte, doppel-blinde, Placebo-kontrollierte Multicenter Studie
- 20 Traumazentren und 39 Rettungsdienste in den USA und Kanada
- Untersuchungszeitraum: Mai 2015 – November 2017
Einschlusskriterien der Patienten:
- ≥15 Jahre
- isoliertes stumpfes oder penetrierendes SHT
- GCS ≤12 (also mittelschweres und schweres SHT)
- mindestens eine reaktive Pupille (damit vergleichbar der Subgruppe von CRASH-3, in der die Patienten mit beidseits areaktiven Pupillen ausgeschlossen wurden)
- RR systolisch ≥90 mmHg
- <2 Stunden Zeitverzug zwischen Traumaereignis und Medikamentenapplikation (damit deutlich früher als CRASH-3)
Intervention:
- im Unterschied zu CRASH-3 begann die TXA-Gabe in dieser Studie bereits prähospital
- die Patienten wurden verblindet in 3 Gruppen randomisiert:
- Bolus+Dauerinfusion (n=312 Patienten): 1 g TXA als Bolus und 1 g TXA als Dauerinfusion über die folgenden 8 Stunden innerklinisch (analog zu CRASH-2 und CRASH-3)
- nur Bolus (n=345 Patienten): 2 g TXA als Bolus und Placebo als Dauerinfusion innerklinisch
- Placebo-Gruppe (n=309 Patienten): sowohl prähospital als auch innerklinisch Placebo
- primärer Outcome-Parameter: gutes neurologisches Behandlungsergebnis (Glasgow Outcome Scale extended >4) 6 Monate nach dem Trauma in den TXA-Gruppen (zusammengefasst) im Vergleich zur Placebo-Gruppe
Ergebnisse:
- nach 6 Monaten evaluiert werden konnten 819 (84,8%) Patienten
- ein gutes neurologisches Behandlungsergebnis nach 6 Monaten konnte bei 65% der Patienten in den TXA-Gruppen und 62% der Patienten in der Placebo-Gruppe festgestellt werden, statistisch nicht signifikant
- die 28-Tage-Sterblichkeit lag bei 14% in den TXA-Gruppen und 17% in der Placebo-Gruppe, nicht signifikant
- der Disability Rating Scale Score (0-6 bedeutet keine oder nur leichte Behinderung, 12-21 schwer oder extrem behindert, >21 vegetativer Zustand oder Tod) lag im Mittel bei 6,8 in den TXA-Gruppen und bei 7,6 in der Placebo-Gruppe, nicht signifikant
- eine Zunahme der intrakraniellen Blutung (im CT-Bild) fand sich bei 16% der Patienten der TXA-Gruppen und 20% der Patienten in der Placebo-Gruppe
- hinsichtlich Krampfanfällen, thrombembolischer Ereignisse oder anderer Nebenwirkungen fand sich ebenfalls kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen
Schlussfolgerung der Autoren: Patienten mit mittelschwerem und schwerem SHT profitieren nicht von der prähospitalen Gabe von Tranexamsäure
Fazit:
- die Ergebnisse dieser Studie stimmen gut mit den Ergebnissen von CRASH-3 überein, die hinsichtlich der Überlebensrate und des neurologischen Behandlungsergebnisses keinen Nutzen von TXA bei SHT fanden
- die breite und unreflektierte Anwendung der TXA bei SHT erscheint also nach wie vor nicht gerechtfertigt
- allerdings könnte die Tendenz der Ergebnisse einen möglichen Nutzen der TXA (gemäß dieser Studie insbesondere der Bolus-Gabe von 2 g TXA) für bestimmte Patienten durchaus vermuten lassen
- zukünftige Studien sollten also darauf fokussieren, die Auswahl der richtigen Patienten und das richtige Dosisregime für die Gabe von TXA zu evaluieren.