Arginin-Vasopressin beim hämorrhagischen Schock

Ein Beitrag von PD Dr. Jürgen Knapp, Bern/Schweiz:

Arginin-Vasopressin beim hämorrhagischen Schock einzusetzen, erscheint aus pathophysiologischer Sicht sehr sinnvoll. Durch die vasopressorische Wirkung kann der Perfusionsdruck stabilisiert werden und gleichzeitig erfolgt eine Stimulation der Thrombozyten und deren Trauma-induzierte Funktionsstörung könnte dadurch „antagonisiert“ werden. Zudem kann bei Traumapatienten häufig ein Vasopressin-Mangel nachgewiesen werden.

In einer randomisiert, Placebo-kontrollierten Studie wurde der Nutzen von Arginin-Vasopressin (AVP) bei Traumapatienten im hämorrhagischen Schock nun untersucht.

Sims CA et al. Effect of Low-Dose Supplementation of Arginine Vasopressin on Need for Blood Product Transfusions in Patients With Trauma and Hemorrhagic Shock. A Randomized Clinical Trial. JAMA Surg 2019; doi:10.1001/jamasurg.2019.2884

  • randomisiert, Placebo-kontrolliert, doppelt verblindet
  • erwachsene Traumapatienten im hämorrhagischen Schock, die mindestens 6 Einheiten an Blutkonserven (Erythrozytenkonzentrate, FFP oder Thrombozytenkonzentrate (in den USA üblicherweise keine Pool-Konzentrate, sondern Einzelspender-Konzentrate)) innerhalb von 12 Stunden nach dem Trauma erhielten
  • Level 1-Trauma-Zentrum in den USA
  • Untersuchungszeitraum: 2013-2017
  • Intervention: 4 Einheiten AVP oder Placebo als Bolus (siehe hierzu Anmerkungen unten), im Anschluss 0,04 Einheiten AVP oder Placebo pro Minute als Dauerinfusion. Nach Blutungskontrolle Titration der AVP-Dosis zwischen 0 und 0,04 Einheiten/min für 48 Stunden, um einen mittleren arteriellen Druck (MAD) von mindestens 65 mmHg aufrecht zu erhalten
  • 100 Patienten wurden randomisiert: 49 Patienten in der AVP-Gruppe vs. 51 Patienten in der Placebo-Gruppe

Ergebnisse:

  • signifikant weniger Transfusionsbedarf in der AVP-Gruppe in den folgenden 48 Stunden nach Randomisierung: im Median 1,4 Liter (Interquartilenabstand: 0,5 bis 2,6 Liter) vs. 2,9 Liter (Interquartilenabstand: 1,1 bis 4,8 Liter), p=0,01
  • kein Unterschied im Bedarf an Kristalloiden und Vasopressoren
  • weniger tiefe Venenthrombosen in der AVP-Gruppe: 11% vs. 34%, p=0,02
  • kein Unterschied im Hinblick auf weitere Komplikationen oder Mortalität zwischen den beiden Gruppen
  • eine deutliche Tendenz zu weniger akutem Nierenversagen in der AVP-Gruppe: 16% vs. 27% (p=0,08)
  • der Noradrenalin-Bedarf war in beiden Gruppen vergleichbar
  • die Sterblichkeit war mit 12% in beiden Gruppen vergleichbar

Bei der Interpretation dieser Ergebnisse müssen mehrere Punkte berücksichtigt werden:

  • der Bedarf von mindestens 6 Einheiten an Blutprodukten zur Definition von Traumapatienten im hämorrhagischen Schock im Rahmen dieser Studie ist ungewöhnlich
  • mit einem durchschnittlichen MAD von 70 mmHg in der Placebo-Gruppe bzw. 66 mmHg in der AVP-Gruppe zum Zeitpunkt der Randomisierung kann eigentlich noch nicht vom Vorliegen eines hämorrhagischen Schocks gesprochen werden
  • 79 der 100 randomisierten Patienten litten an einem penetrierenden Trauma (die Studie stammt aus einem Universitätsklinikum in Philadelphia, USA)
  • die Fallzahl ist mit 100 Patienten sehr gering
  • etwas überraschend ist auch, dass in einem großen universitären Level-1-Trauma-Zentrum in den USA (mit bekanntermaßen hohem Anteil an Schuss- und Stichverletzungen) im Untersuchungszeitraum von 4 Jahren nur 100 Patienten 6 oder mehr Einheiten an Blutprodukten innerhalb von 12 Stunden benötigten.

Fazit:

  • ein echtes „Fazit für die Praxis“ kann aus dieser kleinen Studie natürlich nicht gezogen werden
  • insbesondere die Bolus-Gabe von 4 Einheiten Vasopressin i.v. bei überwiegend noch normotensiven Patienten erscheint fragwürdig
  • die weitere Untersuchung des Nutzens von AVP beim hämorrhagischen Schock (insbesondere bei Patienten im schweren Schock) erscheint jedoch sehr lohnenswert.

Pharmakologische Anmerkungen:

  • Die Dosierung von 4 Einheiten Vasopressin als Bolus erschien uns unglaubwürdig, da Vasopressin ein äußerst potenter Vasokonstriktor ist. Im septischen Schock beispielsweise wird Vasopressin üblicherweise als Dauerinfusion appliziert mit einer Dosierung von 1-2 in seltenen Fällen 3 IE pro Stunde. Wir haben daher die Erstautorin der Studie kontaktiert, die uns die Bolus-Gabe von 4 IE i.v. bestätigt hat. Die chemische Struktur des in der Studie verwendeten „Arginin Vasopressin“ entspricht dem im deutschsprachigen Raum gebräuchlichen „Vasopressin“.
  • Die Autoren begründen ihren hochdosierten (Bolus-)Einsatz von Vasopressin beim hämorrhagischen Schock damit, dass blutende Trauma-Patienten mit dem Blut auch das körpereigene AVP verlieren und nachgewiesenermaßen Vasopressin-defizient sind. Durch Transfusions- und Infusionstherapie wird der Serumspiegel dieses Hormons in kritisch niedrig Werte reduziert.
  • Andererseits würde das bedeuten, dass bei unseren Patienten im septischen Schock, bei denen ja in der Regel vor dem Vasopressin-Einsatz auch eine hochdosierte Volumentherapie mit Kristalloiden und damit Verdünnung der körpereigenen Vasopressin-Konzentration erfolgte, eine initiale Bolus-Gabe sinnvoll wäre…., also möglicherweise ein weiterer Ansatz für zukünftige Studien?

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